P. Widmer: Bundesrat Arthur Hoffmann

Cover
Titel
Bundesrat Arthur Hoffmann : Aufstieg und Fall.


Autor(en)
Widmer, Paul [Verfasser]
Erschienen
Zürich 2017: NZZ Libro
Anzahl Seiten
380 Seiten
von
Anja Huber, Universität Bern, Historisches Institut

In den vergangenen Jahren erschienen diverse Publikationen, die sich mit der wirtschaftlichen, militärischen, humanitären, migrationspolitischen und sozialen Rolle der Schweiz im Ersten Weltkrieg beschäftigten. In diesem Rahmen war auch die Haltung der Landesregierung Untersuchungsgegenstand. Allerdings wurde die Tätigkeit einzelner ihrer Exponenten während der Kriegsjahre nur am Rande beleuchtet. Das Buch über den Aufstieg und den Fall von Bundesrat Arthur Hoffmann des Historikers und alt Botschafters Paul Widmer trägt einen Teil zur Schliessung dieser Forschungslücke bei.

Der Fokus von Widmers Untersuchung liegt auf den Jahren von 1914 bis 1917, als der liberale Bundesrat Arthur Hoffmann die Führung des Politischen Departements innehatte. Während dieser Zeit startete der vom Autor als «mächtigster Bundesrat, den die Schweiz je hatte» (S. 10), bezeichnete Hoffmann verschiedene Vermittlungsversuche zwischen den Krieg führenden Ländern, wobei ihn der letzte im Jahr 1917 das Amt kosten sollte.

Widmer stellt in seinem Buch die Fragen, wie es zum Rücktritt Hoffmanns kommen konnte und welche politische Strategie der Vorsteher des Politischen Amtes während des Ersten Weltkriegs verfolgte. Dabei stellt er die These auf, dass Hoffmann in seinem Bestreben nach Frieden eine doppelbödige Aussenpolitik betrieb und der Geheimdiplomat Hoffmann nicht das tat, was der Aussenminister Hoffmann sagte (S. 18).

Widmer stützt seine Untersuchung auf offizielle Akten, Zeitungen und Memoiren von anderen Zeitgenossen, da Hoffmann keinen schriftlichen Nachlass hinterliess (S. 10f.). Diese Quellenbasis lässt bezüglich der Person Hoffmanns trotz fundierter Recherche Raum für Interpretation, den Widmer auch immer wieder nutzt.

Um Hoffmanns Ambitionen und politische Ziele in den Kontext zu setzen, widmet der Autor das erste Kapitel der St. Galler Advokatendynastie Hoffmann. Er zeichnet das Bild eines Politikers, der sich, wie bereits sein Vater, durch «grosse Sachkenntnisse, intellektuelle Klarheit und redliche Beurteilung» auszeichnete (S. 44). Die restlichen Kapitel des Buches thematisieren das Wirken des liberalen Politikers in der Schweizer Landesregierung ab 1911 und insbesondere seine umstrittenen Vermittlungsversuche hinter den Kulissen. Obwohl der Autor Hoffmann eine gewisse Deutschfreundlichkeit zuspricht, die seiner Meinung nach zu dieser Zeit nichts Aussergewöhnliches war, glaubt er nicht an eine Parteinahme Hoffmanns zugunsten der deutschen Regierung (S. 11f.). Er zeigt aber auf, dass sich Hoffmann als Vorsteher des Militärdepartements in den Jahren von 1912 bis 1913 zum Protegé des deutschfreundlichen Oberstkorpskommandanten und späteren Generals Ulrich Wille entwickelte (S. 60 – 71).

Bundesrat Hoffmann verfügte nach Kriegsausbruch als Vorsteher des Politischen Departements und im Rahmen der dem Bundesrat zugesprochenen ausserordentlichen Vollmachten über umfassende Kompetenzen in der gesamten Aussenpolitik (S. 131). Von diesen machte Hoffmann in den Jahren von 1914 bis 1917 laut Widmer auf verschiedene Weise Gebrauch. Als Aussenminister vertrat er während seiner gesamten Amtszeit die klare Botschaft: Die Schweiz ist und bleibt neutral (S. 143). Damit schloss er jegliche Einmischung der schweizerischen Regierung in Verhandlungen zwischen den Krieg führenden Mächten aus. Als «Geheimdiplomat» hingegen startete er insgesamt fünf Vermittlungsversuche. So führte Hoffmann im Frühling 1916 beispielsweise geheime Gespräche über einen Separatfrieden zwischen Deutschland und Frankreich mit einem oppositionellen französischen Abgeordneten. Ausserdem versuchte er die Schweiz in verschiedenen Aktionen als bevorzugten europäischen Partner der bis Anfang 1917 neutralen USA zu positionieren. Schliesslich wurde Hoffmann sein fünfter Interventionsversuch zum Verhängnis. Bei den als «Hoffmann-Grimm-Affäre» bekannt gewordenen Ereignissen im Frühling 1917 unterstützte Hoffmann den sozialdemokratischen Politiker Robert Grimm bei den Verhandlungen um einen Separatfrieden zwischen Deutschland und Russland. Dabei handelte der Bundesrat ohne Einverständnis seiner Ratskollegen. Als die Aktion publik wurde, erklärte Hoffmann am 19. Juni 1917 seinen Rücktritt aus der Landesregierung.

Widmer sieht die Motivation Hoffmanns für diese Vermittlungsversuche einerseits in der Sorge um die eigene Bevölkerung, andererseits in seinem persönlichen Ehrgeiz. Im Lauf des Kriegs verinnerlichte Hoffmann laut Widmer den von ihm bei der Generalswahl geprägten Spruch «aussergewöhnliche Umstände erfordern aussergewöhnliche Massnahmen» und begann sogar von einem «schweizerischen Notrecht nach Frieden» zu sprechen (S. 199). Der Autor charakterisiert den Bundesrat in seinem Schlusskapitel denn auch als herausragende Persönlichkeit, die sich trotz ihrer Intelligenz des geopolitischen Umfelds ihrer Aussenpolitik zu wenig bewusst war und nicht erkannte, dass sie mit ihren Vermittlungsversuchen die strategischen Ziele der Zentralmächte unterstützte. Im persönlichen Bereich sieht der Autor Hoffmann als Opfer seines eigenen Machtstrebens (S. 331f.).

Widmer gelingt in seinem Buch ein überzeugendes Porträt eines machtbewussten und fähigen Politikers, der seine Kompetenzen in den Kriegsjahren mehrfach überschritt und die politischen Konsequenzen dafür ziehen musste. Die Vermittlungsversuche von Hoffmann werden dabei in den internationalen Kontext der diplomatischen Verhandlungen während des Ersten Weltkriegs eingeordnet. Bei den Beschreibungen und Würdigungen der diplomatischen Ränkespiele Hoffmanns kann Widmer auf seinen grossen Erfahrungsschatz als alt Botschafter der Schweiz zurückgreifen, was das Buch zusätzlich lesenswert macht. Allerdings hätte der Studie etwas mehr «wissenschaftliche Zurückhaltung» bei der zum Teil als fast heroisch beschriebenen Person Arthur Hoffmanns durchaus gutgetan.

Zitierweise:
Anja Huber: Rezension zu: Widmer, Paul: Bundesrat Arthur Hoffmann. Aufstieg und Fall. Zürich: NZZ Libro 2017. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 76-80

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 76-80

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